Sara geht integrativ in die Schule!

 

Schulische Integration wird jährlich erkämpft

Sara lebt mit Trisome21. Sie ist eine junge Erwachsene und steht heute an der Schwelle zwischen obligatorischer Schulzeit und Arbeitswelt. Sie hat mit einem kurzen Unterbruch immer die Regelschule besucht. Das war aber nicht selbstverständlich und wurde von verschiedenen Entscheidträgern immer wieder in Frage gestellt. Die Eltern mussten sich während der ganzen Schulzeit für ihre Tochter stark machen, denn oft hing alles nur an einem dünnen Faden. Die Familie wurde immer wieder überrascht von nicht vorhersehbaren Wendungen, Abhängigkeiten von einzelnen Personen und von zufällig sich ergebenden glücklichen Umständen. Die Integration von Kindern mit Trisomie21 ist keineswegs die Regel und muss von den Eltern jährlich erkämpft werden.

Schon von klein auf: Integration

Für die Familie war immer klar, dass Sara so wie ihr älterer Bruder zur Schule gehen soll, damit sie so natürlich und «normal» wie möglich aufwachsen kann. Das ging aber nicht von alleine, sondern nur unter stetem Einsatz der Eltern, denn die Integration wäre rasch beendet gewesen, hätten sie den Entwicklungen freien Lauf gelassen.

Sara war schon vor dem Kindergartenbesuch im Dorf bekannt, denn sie besuchte Spielgruppe, Schwimmkurs, MuKi-Turnen etc. und sie spielte im Quartier mit den anderen Kindern. Über den Bruder war die Familie an der Schule bekannt und die Zusammenarbeit mit der Kindergärtnerin war unkompliziert. Sowohl die Kindergärtnerin als auch die Heilpädagogin haben sie nach dem Kindergarten für die Regelschule weiterempfohlen.

Die Lehrpersonen werden häufig alleine gelassen

Die erste und zweite Klasse verlief sehr zufriedenstellend für alle. Sara integrierte sich gut, die Eltern der anderen Kinder sahen die Integration als Bereicherung und die Kinder hatten es gut zusammen. Gegen Ende der zweiten Klasse zogen erstmals dunkle Wolken am Horizont auf, denn der Lehrer meldete den Eltern, dass er eine Weiterbildung machen wolle und somit keine Kapazität mehr habe für die Integration. Die Familie wurde mit der Realität konfrontiert: die Integration steht und fällt mit der Lehrperson, welche ihrerseits von den Behörden oftmals wenig Rückhalt erhält. Die Lehrpersonen sind in einem nicht auf Integration eingestellten System sehr auf sich selber gestellt. Hinzu kam, dass die Heilpädagogin ihre Meinung änderte und meinte, Sara sei nicht mehr integrierbar. Und wie wenn damit noch nicht genug gewesen wäre, übte auch die HPS Druck auf die Eltern aus, indem sie sagte, dass nach der sechsten Klasse eh alle wieder zurück in die HPS kämen.

Fachpersonen befinden über das Wohl des Kindes

Auf Anfang dritte Klasse wurde deswegen empfohlen, eine Heilpädagogische Sonderschule könne die beste Förderung bieten. Die Eltern von Saras Mitschülern konnten das nicht verstehen und wehrten sich dagegen. In einem Brief an die Schulleitung baten die Eltern der Mitschüler/-innen, dass Sara weiterhin in der Schule bleiben darf. Leider half die Solidarität wenig, der Behördenentscheid stand fest.

Sara besuchte drei Monate die Heilpädagogische Sonderschule. Dort war sie mit vier gleichaltrigen Kindern in einer Klasse; keines davon mit Trisomie21. Sara war in der HPS-Klasse unterfordert. Sie machte nicht mehr so viele schulische Fortschritte wie vorher, denn u.a. lernte sie dort Buchstaben, die sie vorher an der Regelschule schon gelernt hatte. Die Eltern bemerkten negative Veränderungen in ihrem Verhalten. Sie war nicht mehr das fröhliche Kind von vorher, hatte häufig schlechte Laune, kam gereizt nach Hause und brauchte im Gegensatz zu vorher nach der Schule Erholung.

Die Eltern akzeptieren die Separation nicht

Für die Eltern war es sehr frustrierend, diesem Rückschritt zuzusehen. Aber zum Glück ergab sich ein Lichtblick. Die Familie wohnte damals im Baselland und es bahnte sich an, dass sie beruflich in den Kanton Bern wechseln würde. Die Eltern verknüpften die Suche nach einem neuen Zuhause mit dem Wunsch, dass Sara am zukünftigen Wohnort integrativ zur Schule gehen kann. Nach der HPS-Erfahrung war für die Eltern klar, dass der integrative Besuch einer Regelschule für die Förderung von Sara eindeutig die bessere Lösung ist.

Die Familie wollte gerne dort wohnen, wo der Vater einen Arbeitsplatz gefunden hatte. Deshalb fragte sie bei der zuständigen Schule am neuen Wohnort, ob eine Integration für Sara möglich wäre. Leider kam eine Absage. Die Schule war für eine Integration nicht offen und nicht bereit, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.

Nach vielen Telefongesprächen mit verschiedenen Schulen in der Region fanden die Eltern eine Schule, die bereit war für eine Integration. Es handelte sich um eine Gesamtschule von der ersten bis sechsten Klasse mit zwölf Kindern. Daraus ergab sich eine ideale Situation, denn zufällig wurde eine Wohnung im Schulhaus frei und die Schulleiterin setzte sich dafür ein, dass die Familie dort einziehen konnte.

Wer setzt sich durch und gibt Sara eine Chance?

Bevor Sara starten durfte, musste sie eine weitere Hürde nehmen. Der schulpsychologische Dienst in Langnau musste einen Abklärungsbericht verfassen. Die zuständige Psychologin war der Integration abgeneigt und betonte, dass eine Integration mit Sara nicht funktionieren würde. Aber die Familie hatte Glück, denn die Schulinspektorin setzte sich sehr dafür ein, dass Sara eine Chance bekommen sollte. So besuchte Sara an ihrem neuen Wohnort bis Ende sechster Klasse die Primarschule. Eine Heilpädagogin kam für sechs Stunden in die Klasse und die Mutter begleitete Sara wo es nötig war.

Sara hat sich während dieser Zeit gut entwickelt. Das gute Miteinander zwischen Schulleiterin, Lehrpersonen, Heilpädagogin, Eltern und die hohe Sozialkompetenz unter den Kindern begünstigten die Entwicklung. Rückmeldungen von Eltern zeigten immer wieder, dass die Integration nicht nur für Sara, sondern für alle Kinder ein grosser Gewinn ist. Durch die geeigneten Rahmenbedingungen war eine Förderung gut möglich. Sara konnte z.B. auch an Skilagern teilnehmen, die von der Schule durchgeführt wurden.

Als gutes Beispiel für die Umsetzung der Integration gab es an der Schule eine Aktion zum zehnjährigen Bestehen des Behindertengleichstellungsgesetzes und der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvetion 2014. Ein Fotograf machte von den Kindern professionelle Bilder. Das ganze wurde veröffentlicht. Die Schule erhielt einen finanziellen Zuschuss. Damit konnte die Klasse einen tollen Ausflug machen.

Trotz Erfolg wird die Integration wieder in Frage gestellt

Ende sechster Klasse gab es wieder einen Schnitt in Saras Leben, denn für die letzten drei Schuljahre mussten alle Kinder in den grösseren Nachbarort, also auch Sara. Die Schulpsychologin stemmte sich - trotz der guten Erfahrungen - erneut vehement gegen eine weitere Integration und meinte, Sara wäre überfordert. Wieder hing die schulische Integration an einem dünnen Faden. Am runden Tisch sprachen sich aber die Lehrpersonen für die weitere Integration aus. Die Schulinspektorin hatte eine Schule in der Nähe des Wohnortes im Blick und setzte sich dafür ein, dass Sara dort weiter integriert zur Schule gehen konnte. Die neue Schulleitung war überzeugt, dass integrierte Kinder bessere Chancen haben, sich optimal zu entwickeln und später auch besser im Arbeitsmarkt bestehen können.

Sara blickt auf eine erfolgreiche schulische Integration zurück

Bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit fuhren die Eltern Sara zur Schule und holten sie ab. Sie besuchte eine Mehrstufenklasse, hatte weiterhin sechs Lektionen heilpädagogische Begleitung und durfte in diesen letzten drei Jahren sogar berufspraktische Lernerfahrungen sammeln: Sie half an der Tagesschule in der Küche und im Service aus. Wie an der vorhergehenden Schule war auch hier die Sozialkompetenz unter den Kindern hoch.

Sara hat bei Mensch21! neue Kontakte geknüpft und eine gute Freundin gefunden. Sie war an allen Gastro-Events mit dabei und hat toll gearbeitet.  Dank dieser Erfahrung erhielt sie die Möglichkeit, einmal pro Woche in einem Restaurant im Service zu arbeiten. Leider hat Corona das beendet. Wir hoffen, dass wir Sara bald einen Platz bieten können in unserem zukünftigen Bistro

 
Sara auf dem Plakat des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB

Sara auf dem Plakat des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB

 

Sara hatte zum Teil ein reduziertes Schul-Pensum. Sie hatte daneben immer Logopädie-Stunden, teilweise auch Ergotherapie. Von den Eltern war viel Flexibilität und Engagement gefordert. Aber rückblickend hat es sich gelohnt. Sara wurde gefördert und hat sich toll entwickelt. Und es war ein Gewinn für alle. Die MItschüler/-innen konnten gute Erfahrungen machen und von den Eltern bekam die Familie nur positive und unterstützende Rückmeldungen.

 
Zehn Jahre Behindertengleichstellungsgesetz: Saras Schule erstellte damals diese Karte als gutes Beispiel der Umsetzung dieses Gesetzes.

Zehn Jahre Behindertengleichstellungsgesetz: Saras Schule erstellte damals diese Karte als gutes Beispiel der Umsetzung dieses Gesetzes.

 

Saras Eltern sind sehr dankbar, dass an beiden Schulen die Schulleitung und die Lehrpersonen bereit waren, die Integration zu ermöglichen, indem sie die geeigneten Rahmenbedingungen schufen. Ein Highlight war, dass eine Schülerin aufgrund der Erfahrung mit Sara eine berufliche Laufbahn anstrebte, um mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuarbeiten.

 
Sara im Einsatz bei Mensch21!

Sara im Einsatz bei Mensch21!